Ulrike M. Dierkes

Ausgewählter Beitrag

Margrets Mann




Holde-B. Ulrich:

Margret's Mann
Orlanda Frauenverlag - 241 Seiten
Erscheinungsdatum: April 2005
 ISBN: 3936937222 , 15,50 €

Rezension:

„Margrets Mann" - ein faszinierendes Romandebüt von Holde- Barbara Ulrich.

Ein Roman über die Liebe. Um genauer zu ein, über die Liebe, ihre Lügen und ihre Gewalttätigkeit. Und genau das ist es, dieser Zusatz, der das neue Buch der Berliner Autorin Holde-Barbara Ulrich für den Leser zu einem zutiefst erregenden und bis zum Schluss fesselnden literarischen Ereignis macht. Die Spannung, die die Autorin von der ersten Seite an aufzubauen vermag, getragen von ihrer sensiblen, höchst präzisen, bildhaften Sprache lassen Trivialität, für die Romane dieses Genres im allgemeinen anfällig sind, nicht zu.


Worum geht es? Um maßlose Zärtlichkeit, unvergleichliche Rituale, exzessive Lust, selbstquälerische Eifersucht, mörderische Gewalt - kurz und gut, um eine einzigartige, große Liebe. Klara, Protagonistin des Buches, glaubt es mehr als zehn Jahre lang. Dass Wolf, der Geliebte, verheiratet ist, nicht gerade beglückend für sie und mit der Zeit immer beklemmender. Aber irgendwann wird es vorüber sein. Er verspricht es, gelobt, schwört. Sie glaubt ihm, denn sie liebt ihn. Immer aussichtsloser, immer verzweifelter.

Irgendwann taucht Margret auf, seine Frau. Unerwartet, bedrohlich, diese Begegnung. Ihre verschwörerische Nachricht lautet: Er hat eine neue Geliebte - drei Jahre lang schon! Sie liefert Beweise. Ein vager Bund entsteht zwischen ihr und Klara, eine Verschwisterung der Not.


Wolf verändert sich. Kleine Anzeichen gab es seit langem. Jetzt aber, sehenden Auges, werden sie deutlicher. Sie sind hinterhältig, gewaltvoll, ja lebensgefährlich. Flucht wird nötig, psychisch und räumlich. Klara fährt auf die Krim, versucht, berstend vor Unglück, die Abnabelung. Eine kurze sexuelle Beziehung zu einem anderen Mann, der an eigenem Elend gewachsen ist, hilft ihr dabei.

Zurück in Berlin, wieder Wolf: Seine Rose, sein Brief - diese klagenden, schönen Sätze. Immer noch ist er da. Den Schlusspunkt schließlich setzt Margret mit ihrer Anzeige in der Zeitung...


Der Text vermittelt eine Art von Erschütterung, die auf etwas Bekanntes, etwas Ungeheuerliches hinweist, nämlich den Fall der jungen französischen Schauspielerin Marie Trintignant, die im Sommer 2003 von ihrem verheirateten Geliebten in einem Anfall rasender Eifersucht zu Tode geprügelt wurde. Überhaupt scheint das Buch insbesondere für Frauen einen erheblichen Wiedererkennungseffekt zu haben. Kein Wunder, wenn jede Dritte hierzulande laut Statistik eine „Dreierbeziehung" erlebt und erlitten hat. Unterschiedlich zwar, aber das Grundmuster gleicht sich. Berauschende Stunden der Lust, Heimlichkeiten und Lügen, maßlose Eifersucht, hinhalterische Versprechen und quälerischen Einsamkeit. Und am Ende schließlich - falls sie nicht vorher entkommen kann - sein beiläufiges: „Adieu - es war schön. Aber es geht leider nicht". Und obwohl diese unglücklichen Ausgänge vorauszusehen sind, scheinen sie den Reiz des Geheimnisvollen, Unerlaubten, Gauklerischen einer solchen Affäre nicht zu beeinträchtigen - das gilt für Frauen wie für Männer. Wobei die Frau, von Natur aus reichlicher ausgestattet mit Zuversicht, Geduld und Hingabe, oft auf eine Lebenslösung hofft. Der an Sicherheit orientierte männliche Partner hingegen ist selten bereit, das Gewohnte, Eingerichtete, Abgesicherte seiner familiären Situation für eine Geliebte aufzugeben. Die "ménage a trois" zerbricht schließlich an sich selbst.


Das alles mag sich in der Realität einfacher, geradliniger, vielleicht auch weniger obsessiv zutragen als in dieser kunstvoll gestrickten, genauso dramatischen wie skurrilen Romangeschichte. Aber gerade dieses von der Autorin raffiniert gesponnene Geflecht aus Gewalt und Zärtlichkeit, Erpressung und Willfährigkeit, Hörigkeit und Überdruß bindet den Leser unausweichlich in die Handlung ein und lässt ihn bis zum überraschenden Ende nicht wieder los. „Margrets Mann" ist das zehnte Buch, der aus Brandenburg stammenden Autorin. Der geographische Aspekt bringt es mit sich, dass das Buch, das in den achtziger Jahren in Ostberlin spielt, zwar unaufdringlich aber unübersehbar neben dieser sehr intimen, obskuren Liebesgeschichte auch das ganz normale Leben in der DDR spiegelt.


H.-B. Ulrichs erster Band „Schmerzgrenze" (Dietz 1990) über Frauenschicksale in der DDR erregte Aufsehen und machte ihr Mut, in diesem Metier weiter zu arbeiten. So waren es hauptsächlich literarisch ambitionierte Porträts und Reportagen, die sie als freischaffende Autorin für große Zeitungen und Magazine schrieb. Sie brachten ihr neben anderen Auszeichnungen den renommierten Egon-Erwin-Kisch-Preis. Die vielschichtige Biographie ihrer Tochter „Zuhause ist kein Ort" (Ullstein 2000) wies dann eindeutig den Weg zu ihrem ersten Roman, der mit „Margrets Mann" nun vorliegt. Der ORLANDA-Verlag, bekannt insbesondere durch sein auf Frauenprobleme spezialisiertes Sachbuchprogramm, hat den sehr schön ausgestatteten Band herausgebracht. Unter Herausgeberschaft und Lektorat von Ingeborg Mues eröffnet er die neue Belletristik-Reihe des Verlages: DIE EDITION. Der Auftakt ist auf alle Fälle vielverheißend. © Ulrike M. Dierkes


04.06.2006, 11.02

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Gabriele


Liebe Frau Dierkes,

nun habe ich >Schwestermutter< zu Ende gelesen und möchte sagen, dass mich gerade die letzten Seiten sehr bewegt haben. Das ist das persönliche Schicksal, es immer mit sich herum zu tragen - eine Lebensaufgabe, die man annehmen muss. Sie tun es auch stellvertretend und das finde ich sehr großartig. Ich fühle mich dadurch verbunden.-danke.

(G.F., 24.05.2020)



24.5.2020-18:36
Alexandra.
Ich möchte nicht schleimen. Will Ihnen nicht sagen welche Bücher ich von Ihnen gelesen habe. Oder Sie bemitleiden. - Ich möchte Ihnen lediglich sagen, das ich es gut finde, das Sie existieren, leben & überlebt haben. Die Welt braucht Menschen wie Sie. - Menschen die den Mund auf machen. Lassen Sie ihn sich bitte niemals verbieten.

Liebe Grüße.
13.12.2011-13:23
Maria
Hallo Frau Dierkes!...gerade habe ich Ihr Buch zu Ende gelesen... Ich bewundere Sie sehr, für Ihren Lebensmut, dass Sie nie aufgehört haben zu kämpfen und ein Zeichen setzen! Da ich selber in der Nähe von Münster lebe, kann ich die Beschreibungen, Ignoranz und das Weggucken der Münsterländer, so gut nachvollziehen... Wie wunderbar, dass Sie immer an sich geglaubt haben!!!!!! Auf dass es mehr Menschen gibt, die sich trauen etwas zu sagen, nicht wegsehen,kämpfen und gewinnen.

Sie haben so viel getan und erreicht, ich wünsche Ihnen für alles weitere genauso viel Kraft, Mut und starke Menschen an Ihrer Seite!
Viele Grüße aus dem Münsterland, Maria.
8.11.2011-1:24
Andrea
Liebe Frau Dierkes

Ich kaufte Ihr Buch Schwestermutter vor paar Wochen, habe mir das Buch aber nicht gleich zum lesen hingelegt. Ich schätze, ich wusste warum.

Dieses Buch ist so schonungslos,"grausam" geschrieben, hinsichtlich dessen, was Inzestkinder und deren Mütter selbst heute noch, in unserer Ach so aufgeschlossenen Gesellschaft erdulden müssen... Ich brauchte 3 Anläufe bis ich Ihre Buch zu Ende lesen konnte. Es hat mich zutiefst betroffen gemacht. Ich bewundere aber auch Ihren Mut, Ihre Kraft und Durchhaltewillen, nicht unterzugehen,sondern für Ihre Rechte zu kämpfen. Ihr Recht zu leben, zu lieben und geliebt zu werden.

Frau Dierkes, ich wünsche Ihnen und Ihrer Stiftung alles erdenklich Gute, Kraft und Durchhaltewillen, all jenen zu helfen, die nicht soviel Lebensmut in sich tragen, wie Sie es in sich hatten und noch immer haben.

Liebe Grüsse aus der Schweiz, Andrea
7.7.2011-13:42
Isabella
Liebe Frau Dierkes!
Ich bin nicht durch Zufall auf ihr Buch gestoßen.
Vor etwa einem Monat erzählte mir meine Mutter, dass ich eine Schwester habe, die auch meine Tante ist. Als erste Reaktion habe ich Bücher zu dem Thema gesucht und bin sofort auf Ihres gestoßen.
Es hat mich wirklich sehr berührt und mir sehr weitergeholfen!
Vielen Dank!
19.10.2010-18:02